Eine der Fragen, die sich jemand ständig vorlegt, der einen Zeitzeugen interviewt und anschließend dessen Erinnerungen für ein Buch zusammenstellt, ist die nach der Glaubwürdigkeit der Darstellung. Ist das alles wirklich so passiert? Und wenn ja, was sagt es aus?
Man gerät in einer solchen Situation rasch in die Denkschablone eines Detektivs oder der eines Staatsanwalts im Kreuzverhör. Man hakt nach. Man bemüht sich darum, die Löcher in der Geschichte auszufüllen. Man grübelt über das Verhalten von Menschen in extremen Lebenslagen nach. Man sucht nach dem Sinn. Ganz besonders im Fall von Erinnerungen von Angehörigen der Wehrmacht, die, wie wir heute wissen, in vielen Phasen und an vielen Orten in Verbrechen verwickelt waren.
Aber ein Pauschalverdacht kann einem die Sinne trüben. Und das ist keine gute Ausgangslage, wenn man zunächst einmal völlig neutral die Erinnerungen eines Menschen aufzeichnen will. Meine Skepsis bei solchen Projekten zielt vor allem auf die Detailstruktur der Erzählungen ab. Ich möchte sicherstellen, dass sich das Geflecht aus vielen Erinnerungen nicht zu unauflöslichen Widersprüchen verknotet. Und dass nicht fiktive Eingebungen die Erlebnisrealität einfärben.
Wie intensiv das Ergebnis ausfällt, liegt an der Emotionslage des Autors. Nicht jeder dreht in einem solchen Augenblick das Innerste nach außen. Manch einer geht mit dem Trauma von Sterbensangst und Todesrisiko lieber distanziert um. Es ist ein Selbstschutzmechanismus, der bei seinen Praktikern auch noch sechzig Jahre später nachwirkt.
Wichtig finde ich, dass ein derart spät formulierter Bericht mit seinen tausenden von Einzelheiten und Dialogfetzen nicht so klingt, als sei das meiste einfach nur imaginiert. Darin waren Johannes Buchmann und ich uns stets einig. Es geht um eine wahrhaftige Darstellung. Nicht um eine künstlich aufgebauschte.
Um dem Verdacht entgegenzuwirken, enthält "Der Rest wurde am Boden zerstört" zahllose Fußnoten, die sich darum bemühen, die einzelnen Begebenheiten und Abläufe zu ergänzen, einzuordnen und faktisch abzusichern. Mitunter werden im Text auch Mutmaßungen formuliert. Aber die sind jeweils als solche gekennzeichnet. Es ging nämlich als Arbeitsprinzip darum, mit dieser einen persönlichen Geschichte als Beitrag zu einer Gesamtgeschichte eine Stimme zu Wort kommen lassen, die stimmt.
Dieses Ziel kann man eigentlich nur dann erreichen, wenn man hinreichend Sekundärliteratur heranzieht. Die hat im Fall der Buchmannschen Erlebnisse entscheidend geholfen, das Detailbild seiner Blickperspektive aufzubrechen und gleichzeitig auszuweiten. So flossen in diese Memoiren zum Beispiel Erkenntnisse aus zwei entscheidenden Quellen über die Situation nach dem Ende des Krieges in der österreichischen Stadt Waidhofen an der Thaya ein, wo Johannes Buchmann zwei Monate als Gefangener der Roten Armee verbrachte: das Buch von Christoph Schadauer mit dem Titel "Das Jahr 1945 im politischen Bezirk Waidhofen an der Thaya", publiziert 1992, und die Doktorarbeit von Ilse Wais, "Das Kriegsende im Bezirk Waidhofen an der Thaya und die Verhältnisse danach", aus dem Jahr 1985.
Solche Quellen lassen sich selbst im Zeitalter des Internets nicht immer ganz einfach lokalisieren. Doch ohne solchen Input steht man so viele Jahrzehnte nach den beschriebenen Ereignissen schnell auf tönernen Füßen. Mit ihm hingegen bekommt eine derartige Geschichte tatsächlich einen Sinn.
Johannes Buchmann hat übrigens einige wichtige Dokumente aus jener Zeit auf seiner Flucht aus der Gefangenschaft mitgenommmen beziehungsweise auf dem Weg nach Hause erhalten: seinen Wehrpass mit allen Eintragungen, eine Bescheinigung über das Bargeld, das ihm bei seiner Gefangennahme abgenommen wurde, und die Entlassung aus dem deutschen Militär durch eine amerikanische Armee-Einheit in der amerikanischen Besatzungszone in Österreich.
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