Freitag, 18. März 2011

Sprachlosigkeit überwinden – ein Besuch in Dorsten

Es gibt dem, was die Zeitungen in Dorsten über den Abend geschrieben haben, nicht viel hinzuzufügen. Anke Klapsing-Reich etwa sprach in der Dorstener Zeitung ein Phänomen an, das für viele Angehörige der Buchmann-Generation gilt und das in wenigen Worten den Hintergrund dieses Buchprojekts beschreibt: "„In all den Jahren habe ich wenig über meine Kriegsjahre gesprochen, auch meinem Sohn habe ich kaum davon erzählt“, konstatiert Johannes Buchmann. Umso dankbarer ist er, dass er es im hohen Alter doch noch mit Hilfe von Jürgen Kalwa geschafft hat, die Sprachlosigkeit zu überwinden und die vielfältigen Eindrücke aus dieser kriegswahnsinnigen Zeit festzuhalten." Das war eine wichtige Feststellung.

Jo Gernoth formulierte in der Dorstener WAZ-Ausgabe (nicht online erschienen) sein Fazit in Anspielung an den Buchtitel: "In Dorsten wurde nichts zerstört an diesem Montag: Nicht die Würde eines alten Dorsteners, nicht das Bemühen eines Vereins, die jüngere Zeitgeschichte zu beleuchten und auch nicht die Gewissheit, dass Dorsten aus der Vergangenheit gelernt hat."

Beide sehr ausführlichen Berichte zeigen, wie differenziert und auch distanziert Nachgeborene 60 Jahre später in der Stadt mit dem Stoff und den Informationen umgehen, die zunächst nicht mehr sein können als ein sehr persönlicher Beitrag zur Abbildung einer sehr viel größeren geschichtlichen Erfahrung und zwar "ohne in irgendeiner Form revanchistisch oder kriegsverherrlichend zu sein", wie Gernoth in seinem Text betonte.

In Dorsten befindet sich übrigens seit ein paar Jahren das Jüdische Museum Westfalen. Es erinnert nicht nur daran, was die zwölf Jahre, die für die Überlebenden der Nazi-Zeit zu einer Last wurden, am Boden zerstörten. Es dokumentiert auch die Entwicklung eines ganzen Landes hin zu einer Neubesinnung. Das Museum ist mehr als nur einen einzigen Besuch wert, weil es nicht nur den Holocaust wach ruft, sondern auch die erheblichen Kulturleistungen des deutschen Judentums, die von den Trümmern von 1945 verschüttet zu werden drohten. Es gilt, auch die nicht zu vergessen.

Sonntag, 6. März 2011

Schnee von gestern

Der 14. März wird in diesem Jahr ein ganz besonderer Tag werden. Denn an diesem Montag findet ab 19 Uhr im Alten Rathaus am Markt in Dorsten zum ersten Mal im Zusammenhang mit diesem Buchprojekt eine öffentliche Veranstaltung statt. Anwesend werden sein: Autor Johannes Buchmann und sein Mitstreiter Jürgen Kalwa.

Der Abend geht auf die dankenswerte Initiative der Dorstener Zeitung und ihrer sehr engagierten Redakteurin Anke Klapsing-Reich zurück, die das Buch in der Silvester-Ausgabe ausführlich vorgestellt hat und aus diesem Anlass im Dezember ein Telefoninterview führte, das in einem Schlenker den besonders schweren Winter in Neu-England streifte, der Rekorde gebrochen hat ("Komplett eingeschneit saß Johannes Buchmann Anfang der Woche mit kalten Füßen in seiner Farm in Sharon, Connecticut...")

Dieser Winter ist fast vorbei, auch wenn sich auf den Wiesen von Sharon und Umgebung noch immer eine fest gefrorene Schneedecke von mehr als 20 Zentimetern Höhe ausbreitet. Die ist in den letzten Tagen um etwa 30 Zentimeter zusammengesackt, nachdem sie zwischendurch immer wieder mit neuen Lieferungen aufgeschüttet wurde.

Viel ist im Rest der Welt nicht über Sharon bekannt. Schon gar nicht im deutschsprachigen Teil, was man unter anderem an der Tatsache ablesen kann, dass es die Wikipedia-Seite über den Ort zwar in mehreren Sprachen gibt, aber nicht in Buchmanns und meiner Muttersprache. Dabei gab es einst eine Gruppe von Menschen hier, die aus dem deutschsprachigen Kulturkreis ausgewandert waren – wegen der Religionsfreiheit. In den USA nennt man diese Gruppe Moravians und kann die Nachwirkungen ihrer Aktivität vor allem in einem Winkel von Pennsylvania nachzeichnen. In der Stadt Nazareth etwa (heute sehr viel bekannter als Sitz der Gitarrenfabrik Martin und der Rennfahrer-Familie Andretti), wo sich ein Museum befindet. Die deutsche Bezeichnung für die protestantische Glaubensgemeinschaft lautet: Herrnhuter Brüdergemeine.

Vertreter dieser Brüdergemeine waren einst in Sharon ansässig und tauften bei der Gelegenheit jenen See, der heute Indian Lake genannt wird, mit einem deutschen Wort. Sie nannten ihn Gnadensee. Die Herrnhuter verstanden sich in erster Linie als aktive Missionare. Es ging ihnen mithin darum, die mehr als 200 Indianer, die am See zwei Dörfer bevölkerten und vor ihnen in der Mittelgebirgslandschaft zwischen dem Hudson und dem Housatonic angekommen waren, zu bekehren. Die Zielstrebigkeit war beachtlich. So kam sogar der Gründer und Bischof der Brüdergemeine Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf und Pottendorf in die Gegend, wenn auch nicht die letzten Kilometer bis nach Sharon. So jedenfalls steht es in einem Buch aus dem Jahr 1902: Gnadensee, the lake of grace; a Moravian picture in a Connecticut frame. Das Buch von Edward Oscar Dyer kann man heute bequem hier lesen.

Die bekanntesten Bewohner der heutigen Zeit in Sharon (knapp 3000 insgesamt) sind das Schauspieler-Ehepaar Kevin Bacon und Kyra Sedgwick sowie Michael J. Fox, der seit seiner Parkinson-Erkrankung nicht mehr vor der Kamera steht, und der Künstler Jasper Johns.

Die Farm von Johannes Buchmann liegt einige Kilometer vom Zentrum entfernt. Genauso wie mein Anwesen. Das liegt sogar so weit entfernt, dass es – postalisch – zum Nachbarort West Cornwall gehört. Trotzdem sind wir uns vor anderthalb Jahren zum ersten Mal im Zentrum von Sharon begegnet. Im Rahmen einer Veranstaltung der altehrwürdigen Öffentlichen Bibliothek, die sich allein durch Spenden unterhält. Aus der zufälligen Begebenheit wurde eine produktive Zusammenarbeit mit dem vorliegenden Buch als Resultat. In Dorsten werden wir zum ersten Mal über das Entstehen dieser Koproduktion ausführlich berichten. Auf die Resonanz sind wir gespannt.