Dienstag, 21. Dezember 2010

Alpträume dank Fernsehen

Vor ein paar Wochen ist der Schauspieler Heinz Weiss gestorben. Die Nachricht hat in den USA nur wenige Menschen interessiert. Da kannte ihn niemand. In Deutschland hat es für ihn im Laufe der Jahre zu nicht mehr als einer soliden, aber eher durchschnittlichen Karriere gereicht. Weiss war den meisten am Ende vor allem als Kapitän der Traumschiff-Serie bekannt.

Für mich allerdings war er durchaus jemand – nämlich der Mann, der Clemens Forell gespielt hatte, den deutschen Offizier, der es schafft, sich 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Ostsibirien abzusetzen, tausende von Kilometer durch Einsamkeit und Schnee hinter sich bringt und 1952 über die Grenze nach Persien gelangt. Ich habe seine Erlebnisse in dem Sechsteiler So weit die Füße tragen 1959 bei der Erstausstrahlung im Fernsehen gesehen – als Sechsjähriger, der von der scheinbar aussichtslosen Lage dieser Figur schier überwältigt war. Nachts hatte ich Alpträume.

Das Buch, das der Verfilmung zu Grunde liegt, basierte angeblich auf einer wahren Geschichte. Jahre nach dem Tod des Autors Josef Martin Bauer stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine von vorne bis hinten erfundene Story gehandelt haben muss. Aber der Stoff, 1955 veröffentlicht, passte in die Zeit. Denn erst damals, zehn Jahre nach Ende des Krieges, kamen nach ausgiebigen Verhandlungen auf oberster Regierungsebene die letzten Kriegsgefangenen aus der UdSSR nach Deutschland zurück, während wohl mindestens eine Million deutscher Soldaten auf dem Weg in die Lager und in der Zeit dort ums Leben kam.

Wie spielt man einen abgerissenen Flüchtling, der nur von einer Idee besessen ist, der trotz aller Gefahr nicht aufgibt und der nach seiner Flucht über die rettende Grenze ins Gefängnis gerät und dort beinahe den Verstand verliert? Heinz Weiss war kein method actor der amerikanischen Schule, sondern jemand, der im Theater gelernt hatte. Und Regisseur Fritz Umgelter war wohl auch eher an der platten Umsetzung von Szenen interessiert, anstatt subtil den Spannungszustand und das Befinden der Hauptfigur aufzuschlüsseln. So wirkt das Produkt in der Analyse 50 Jahre später allzu dröhnig und gewollt. Wahrscheinlich hätte Weiss das auch sehr viel stiller spielen können und nicht so krawallig. Das schien jedoch niemand zu stören, wie das Lexikon des Internationalen Films schrieb, "da ein unbescholtener Deutscher in der Rolle des Kriegs-Opfers gezeigt wurde. So paßte die Produktion auch ideologisch in das Klima der Zeit des Kalten Krieges, ohne zuviel politischen Zündstoff zu bieten."

An Weiss und So weit die Füße tragen musste ich unweigerlich am Anfang der Zusammenarbeit mit Johannes Buchmann denken, der in seinem Buch das Erlebnis seiner Flucht aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft erzählt. Das war der typische Reflex von jemandem, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde und der als junger Mensch mit einer nachvollziehbaren, aber irreführenden Erinnerungsleistung der Kriegsgeneration konfrontiert wurde. Die Nachklänge ließen sich in der Arbeit am konkreten Material allerdings sehr leicht abarbeiten. Und wer auf YouTube diese Szenen aus der Fernsehserie gesehen hat, muss sich gar nicht richtig anstrengen, der Realität auf den Fersen zu bleiben. Das richtige Leben ist anders.

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